Gespräch mit Haio Röckle über die digitale Transformation
Haio Röckle ist Mathematiker und Professor an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein. Zurzeit leitet er als Dekan den Fachbereich Dienstleistungen und Consulting. Für das German Chapter of the ACM organisiert er die jährliche IT-Security live Konferenz mit. Gerhard Schimpf hat ihn zum Thema digitale Transformation befragt.
Gerhard Schimpf (GS): Haio, vielen Dank, dass Du Dich für ein Interview über das Themengebiet unseres Symposiums zur Verfügung gestellt hast. Einige Leser kennen Dich vielleicht noch nicht. Würdest Du Dich bitte vorstellen und uns Einblick in Deine gegenwärtige Arbeit geben?
Haio Röckle (HR): Nach Studium und Promotion in Mathematik und einigen Berufsjahren hatte ich mit der Gründung und Geschäftsführung einer Beratungsgesellschaft zur IT-Sicherheit einige Verantwortung als Arbeitgeber, aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht.
Heute lehre ich als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Ludwigshafen im Bachelor- und Masterstudiengang und bin natürlich auch an der Weiterentwicklung der Studiengänge beteiligt. Insbesondere haben wir den Masterstudiengang Wirtschaftsinformatik neu ausgerichtet in Richtung Data Science and Consulting und können dadurch deutlich höhere Bewerberzahlen verzeichnen. Als Dekan des Fachbereichs bin ich außerdem Teil der Hochschulleitung und an strategischen Fragestellungen beteiligt. Digitalisierung ist in diesem Zusammenhang ein Schlagwort, das auch vom Ministerium mit Nachdruck an uns herangetragen wird, aber konkrete Ausprägungen und welcher Nutzen konkret erzielt werden soll, muss derzeit noch ausgearbeitet werden und ist natürlich auch eine Ressourcenfrage.
GS: Welche Entwicklung brachte Dich zur Informatik und welchen Auswirkungen der zurzeit sichtbaren digitalen Transformation sollten wir die größte Aufmerksamkeit widmen?
HR: Mein erster Computer war ein TRS-80 Nachbau mit Basic-Interpreter. Wir brachten uns selbst die Programmierung bei und hatten das Gefühl, irrsinnig progressiv zu sein, das war 1982. Wir hatten viele Ideen, die wir für wünschenswert aber völlig utopisch hielten, z.B. den Austausch von Hausaufgaben in elektronischer Form oder die Musikerzeugung am Computer.
Während des Mathematikstudiums waren Computer für mich dann etwas in den Hintergrund getreten und andere hatten mit der Veränderung der Welt begonnen. Als sorgfältiger Mensch mit schwäbischen Wurzeln habe ich dann die Kehrwoche übernommen und mich mit dem Thema IT-Sicherheit auseinandergesetzt.
Aber selbst das greift ja heutzutage viel zu kurz, da die Neuerungen der Digitalisierung mit ihren Auswirkungen auf das Verhalten einzelner Personen tatsächlich die Gesellschaft als Ganzes verändert. Die wichtigste Regel im Zusammenhang mit dem IT-Security Management ist ja, dass bei jedem Projekt im Unternehmen von Anfang an die Informationssicherheit berücksichtigt werden muss. Eine ähnliche Forderung wäre generell hinsichtlich gesellschaftlicher Auswirkungen von Digitalisierungsprojekten denkbar. Schwierig daran ist allerdings, dass die Auswirkungen oft erst Jahre später zu erkennen sind.
GS: Wie beeinflusst das Deine Arbeit und auf welche Weise wirkst Du selbst an der digitalen Transformation mit?
HR: Zunächst arbeite ich daran, die gesellschaftliche Komponente in der Definition der Wirtschaftsinformatik zu verankern und dies auch in Fachkreisen, aber auch darüber hinaus, z.B. in der Hochschulleitung zu kommunizieren.
Natürlich versuche ich auch, meinen Studentinnen und Studenten im Zusammenhang mit Fachwissen und -kompetenzen auch eine kritische Einordnung und Reflektion der Themen anzugewöhnen. In meinem Lehrbereich der Internet-Technologien sowie der Informationssicherheit bieten sich da schon viele Anknüpfungspunkte. Die aktuelle Diskussion über die Datenschutzgrundverordnung kommt mir da zum Beispiel sehr entgegen. Leider ist es aber schon so, dass die kritische Beschäftigung mit unserer Wissenschaft eher nicht zum Standardcurriculum der Wirtschaftsinformatik gehört und auch ich mich noch nicht dazu durchringen konnte, diese für „klausurrelevant“ zu erklären.
GS: Welche Chancen verbindest Du mit der digitalen Transformation in unserer Gesellschaft?
HR: Vor 50 Jahren wurde begonnen, mit Großrechnern Massentätigkeiten in Großunternehmen zu automatisieren. Als Nebeneffekt begannen Unternehmen ihre organisatorischen Abläufe in Form von Geschäftsprozessen zu analysieren und umzubauen, um weitere Arbeitsschritte zu identifizieren oder zu ermöglichen, die gewinnbringend automatisiert werden konnten.
Die Potenziale der automatisierten Verarbeitung strukturierter abstrakter Unternehmensobjekte waren vor etwa 15 Jahren weitgehend erschlossen. Für die weitere Entwicklung treten folgerichtig mehr und mehr unstrukturierte Daten, private Objekte und der Mensch als Objekt in den Mittelpunkt.
Im Unternehmensbereich wird z.B. durch Customer Relationship Management die Kundennähe und im Idealfall auch die Kundenzufriedenheit verbessert. Im Bereich der Business Intelligence und Predictive Analysis werden die Informationsgrundlagen von Managerinnen und Managern gesteigert und im Idealfall unternehmerische Entscheidungen verbessert. Im privaten Bereich ist der Nutzen, den die Anwenderinnen und Anwender zum Beispiel den sozialen Plattformen beimessen, offensichtlich ebenfalls gewaltig. Auch Navigationssystemen wird ein hoher Nutzen beigemessen.
Als Nebeneffekt ändert sich das Verhalten vieler Menschen im Umgang miteinander, so dass die Neuerungen noch besser genutzt werden können. Allein das ständige Mitführen von Mobilgeräten ist hierfür ein offensichtliches Beispiel.
Als nächster Schritt, und hier betreten wir den Bereich der „Algorithmen“, zeichnet sich die Voraussage menschlicher Interessen ab. Die Nebeneffekte hinsichtlich der Eigenständigkeit und der technologischen Abhängigkeit sind dabei allerdings noch überhaupt nicht abzuschätzen. Wenn es also gelingt, die folgerichtig jeweils auftretenden Nebeneffekte so zu kontrollieren, dass diese in einem akzeptierbaren Bereich bleiben, werden wir voraussichtlich auch in den nächsten Jahren Weiterentwicklungen erleben, die mittels unstrukturierter Daten den Mensch als Objekt oder als Ziel in den Mittelpunkt stellen und zumindest von Teilen der Bevölkerung als nutzenstiftend angesehen werden.
Es ist auch denkbar, die Möglichkeit, das Handy einfach mal wegzulegen, als Steigerung der Lebensvielfalt wahrzunehmen. Das Grillen im Garten oder die Sonntagsrunde mit dem Rennrad bekommt dadurch eine entschleunigende Zusatzqualität, die ich zumindest früher so nicht wahrgenommen hatte.
GS: Auf der Negativseite und besonders im Kontext Mensch-Sein mit Algorithmen, welche Risiken siehst Du?
HR: Hier scheinen mir als Ausgangspunkt die Bezeichnungen der IT-Sicherheit ganz hilfreich. Die offensichtlich gewaltigen Abhängigkeiten korrespondieren mit dem Begriff der Verfügbarkeit. Ohne Computer und Internetanschluss sind viele Geschäftsprozesse nicht mehr denkbar. Das Risiko falscher Daten, z.B. bei Ratingsystemen, korrespondiert mit der Integrität und die Frage, wer alles meine Daten besitzt, entspricht der Vertraulichkeit.
Die Sorgfalt, mit der Diensteanbieter meine Daten zu behandeln haben, entspricht dann dem Datenschutz. Soweit Menschen als Ziel oder als Objekt betroffen sind, müssten diese eine Möglichkeit erhalten, sich dem System temporär oder vollständig wieder zu entziehen. Zur Frage, ob die Anbieter sich dabei an ihre Pflichten halten, wäre Transparenz erforderlich. Diese ist allerdings in den meisten Fällen leider nicht vorhanden, was vielleicht das größte Problem ist. Natürlich besteht die Gefahr, dass Anwender und Anwenderinnen aus Unwissenheit ihre oben genannten Sicherheits- und Datenschutzinteressen nicht wahrnehmen, aber ich hoffe, dass es sich dabei um ein temporäres Phänomen handelt, bis – vielleicht nach einigen unangenehmen Zwischenfällen – hier ein Ausgleich stattfindet.
Was mich selbst ein wenig verwirrt, ist die Tatsache, dass der Wert der großen Plattformen ausschließlich darauf aufbaut, Werbeinnahmen zu erzielen, also keiner realen Produktion entspricht. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es volkswirtschaftlich sinnvoll sein kann, der Werbung für Produkte mehr Wert beizumessen als den Produkten selbst.
GS: Wer trägt Deiner Meinung nach die Verantwortung, um diese Risiken zu begrenzen?
HR: Zunächst halte ich es für erforderlich, Anwenderinnen und Anwendern die Möglichkeit zu geben, Ihre Kenntnisse zu steigern und ihre Eigenverantwortung zu stärken. Hier könnte staatliche Unterstützung hilfreich sein. Für die Diskussion der weiteren Herausforderungen wie die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Anbieter, mehr Klarheit und Nutzenorientierung auf Seiten von Politik und Verwaltung, etc., freue ich mich auf das Symposium im September.
GS: Haio, vielen Dank für diese Ausführungen. Wir freuen uns darauf Dich im September in Heidelberg zu treffen.